Rat strebt mehr lokale Zusammenarbeit an - Chance in der KriseHandwerk in der Großregion: IRH will Neuausrichtung der politischen Segel
Wie kann im überregionalen Handwerk ein Neustart gelingen – zwei Jahre nach dem Ausbruch der Coronakrise? Lösungsvorschläge präsentierte der Interregionale Rat der Handwerkskammern in der Großregion (IRH) auf seiner Vollversammlung. Um Antworten auf zukunftsweisende Fragen wie etwa nach der Klimawende zu formulieren, waren die IRH-Mitglieder am Campus Handwerk in der Handwerkskammer Trier zusammengekommen. IRH-Präsident Rudi Müller stellte die Lösungsansätze vor und schickte eine gute Nachricht voran: „Die 170.000 vorwiegend kleinen und mittelständischen Betriebe des Handwerks der Groβregion haben sich in der Corona-Pandemie einmal mehr als Stabilitätsanker der groβregionalen Wirtschaft erwiesen."
Zwölf Mitgliedsorganisationen aus Deutschland, Luxemburg, Belgien und Frankreich vertreten im IRH die Interessen des Handwerks in der Großregion. Aktuell will das Netzwerk sich künftig besser vor Gegenwind schützen und im grenzüberschreitenden Umfeld mehr ökonomische Widerstandskraft gegen eine neue Krise und ihre Folgen erreichen. Für einen nachhaltigen Neustart nach Corona stellte der Rat daher seine Kernforderungen zur Neuausrichtung der Politik in der Groβregion in der Vollversammlung vor.
Ganz oben steht die Vernetzung von interregionaler Versorgung, Produktion und Dienstleistung. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig lokale Wertschöpfung und regionale Fertigung sind“, sagte Rudi Müller und nannte als Beispiele die zentrale Rolle des Lebensmittelhandwerks sowie des Ausbauhandwerks. Bei der Produktion von Schutzausrüstungen und der Umsetzung von Hygienekonzepten seien nicht nur diese Gewerke kurzfristig aktiv geworden. „Die bedeutende Rolle der Handwerksbetriebe als zentrale Akteure in regionalen Wertschöpfungsketten müssen bei der Gestaltung regionaler und interregionaler Politik mehr berücksichtigt werden“, sagte er. Im Zuge von Lieferketten-Problemen und Preisexplosionen müssten auch verschiedene Initiativen in der Groβregion aufgewertet werden, etwa Holz-Cluster oder Genossenschaften.
Eine weitere Forderung richtet sich an Entscheidungsträger der Groβregion, die Fachkräftesicherung mehr ins Visier zu nehmen. Im Zuge dessen müsse die Politik sich verstärkt für die Wertschätzung der handwerklichen Ausbildung einsetzen. „Um einer zukünftigen Krise entgegenzuwirken, benötigen wir gut ausgebildete Fachkräfte“, sagte Müller. „Für mehr Klimaschutz sowie eine gelungene Energie- und Verkehrswende werden im Handwerk zusätzlich tausende qualifizierte Fachkräfte gebraucht!“
Das betonte auch der luxemburgische Energieminister Claude Turmes. «Da wir noch nicht entsprechend aufgestellt sind“, räumte er jedoch ein, „wird ein schneller Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung nicht möglich sein.“ In der gegenwärtigen Krise sehe er jedoch auch die Chance, sich auf das Lokale und die Märkte der Großregion zurückzubesinnen. Um die Klimawende zu meistern, wolle die Politik „einen guten Rahmen setzen und auch das Handwerk einbeziehen. Wir brauchen das Handwerk – überhaupt und besonders bei der Umsetzung der Energiewende!“, hob er hervor. Ansätze sehen der Energieminister und der IRH durch weitere Netzwerkbildung innerhalb der Großregion, beispielsweise in einer engeren Zusammenarbeit in Sachen Wertschöpfung, wie etwa einem Cluster zur Beschaffung von Holz, oder im Bereich Ausbildung.
Die Stellschrauben zurückzudrehen, wäre hingegen beim Thema Dienstleistungs- und Warenverkehr nach Überzeugung des IRH die falsche Richtung. Der Verkehr müsse reibungslos sichergestellt werden, sagte IRH-Präsident Müller: „Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass überwunden geglaubte Grenzen wieder hochgezogen wurden. Viele Unternehmen waren von der plötzlichen Schließung der Grenzen zum Nachbarland erheblich betroffen. Die offenen Märkte in Europa dürfen nicht wieder eingeschränkt werden!“
Um die Produktion und Versorgung sicherzustellen, müssten Grenzschließungen und unkoordinierte nationale Maßnahmen für Warentransporte, Berufspendler, Saisonkräfte, Monteure sowie Geschäftsreisende im Binnenmarkt vermieden werden. Zudem fordert der IRH, dass das Entsendeverfahren geändert wird und künftig alle Mitarbeiterentsendungen zwischen den Teilregionen nach einheitlichen Standards ermöglicht werden.
Nicht zuletzt appelliert der IRH an die Entscheidungsträger, die wirtschaftliche Resilienz auch durch angemessene Rahmenbedingungen für KMU fördern. „Die Handwerksbetriebe, ihre Beschäftigten und Auszubildenden sehen sich einem massiven Druck in Form von steigenden Energiekosten, gestörten Lieferketten und einer anziehenden Inflation ausgesetzt. Auch wenn das Handwerk weiter stark gefragt ist, wird dieser Wirtschaftszweig derzeit konjunkturell beeinträchtigt“, gab Müller zu bedenken. „Die Folgen der Corona-Pandemie, Material- und Lieferengpässe, drastische Preissteigerungen, Inflation, fehlende Fachkräfte und die Auswirkungen des Ukraine-Konfliktes setzen den Betrieben zu.“
Die Politik in der Groβregion müsse daher entschieden handeln, fordert der IRH. „Die Politik ist in dieser Situation aufgefordert, stabilisierende Maßnahmen in den Teilregionen zu ergreifen“, sagte der IRH-Präsident. „Die Verantwortlichen müssen vor allem einen verlässlichen Rahmen gewährleisten."